1. Beschreibung und eingeladene Gäste
Einige Studien aus dem amerikanischen Raum zu Texten der Kolonialzeit betonen deren Singularität hinsichtlich der europäischen Tradition. Gleichzeitig werden europäische Texte des 15. bis 17. Jahrhunderts selten mit lateinamerikanischen Texten als Teil eines einzigen Korpus gesehen, und im Hinblick auf die Rezeption bestenfalls mit der Araucana von Ercilla oder Texten von Juan Ruiz de Alarcón und dem Inca Garcilaso de la Vega in Verbindung gebracht, wobei meist ein unilateraler Einfluss gezeichnet wird.
Vor dem Hintergrund der Prämisse der Alterität möchte die Sektion untersuchen, wie die neuen Orte hispanischer Kultur zunehmend ‚globalisierte‘ textuelle Konzepte adaptieren, und in welches Spannungsverhältnis sie dabei mit lokalen Kulturen und Textformen geraten.
Dabei soll zunächst von stilistischen, chronologischen oder regionalen Kategorisierungen wie „goldenes Zeitalter“, „Renaissance“ oder „kolonial“ abgesehen werden, um Texte aus Europa und Amerika vom 15. bis ins 17. Jahrhundert zu verknüpfen und wechselseitige Berührungspunkte herauszuarbeiten.
Zwei Aspekte sollen beleuchtet werden: Die Bildung neuer Orte hispanischer Kultur im Kontext einer ersten ‚Globalisierung‘, gekennzeichnet durch Mobilität und Konflikte – und ihre textuelle Repräsentation im Modus des Epischen als einer Ästhetik der Spannung und der Expansion (Fowler, 1985, Souriau, 1990). Als Makrodiskurs schließt das Epische verschiedene Textgattungen ein (Garrido Gallardo, 1994; Spang, 1993). Es kann untersucht werden, wie die narrativen Strukturen andere Texttraditionen (Bestiarien, apokryphe Mythen, Legenden) aufgreifen und weiterverarbeiten oder dekonstruieren.
Mögliche Achsen der Sektionsarbeit:
- Das Epische in einer ersten ‚Globalisierung‘ hispanischer Kultur. Im Makrodiskurs des Epischen können unterschiedliche Texte des 15. bis 17. Jahrhunderts, von der epischen Dichtung bis zum Ritterroman, untersucht werden. Dabei lassen sich Typen, Formen und Stilfragen ebenso behandeln wie Funktionen und Zirkulationsprozesse der Texte. Es ist auch erwünscht, die politische Komponente und Tragweite des Epischen zu beleuchten (vgl. David Quint, 1993).
- Modelle und Parodien des ‚Helden‘: Heroische Modelle wandeln sich in den behandelten Jahrhunderten, was Anlass zu folgenden Fragen gibt: Wie entwickelt sich das Modell des Heroen diachron? In welchem Kontext entstehen Parodien des epischen Heldenschemas? Wie wird das Modell des Miles Christi im amerikanischen Kontext fortgeführt? Wie fügen sich die neuen Orte und Raumvorstellungen ins Schema des Epischen ein und wie modifizieren sie es?
- Legenden in Kontakt: Seit der Antike werden Legenden in epische Texte eingeflochten. Die europäische Reconquista und die ‚Eroberung‘ Amerikas erweiterten die Vorstellungswelten, auch durch die Übersetzung von lokalen Mythen. Die eingeflochtenen Narrationen werden transkulturell assimiliert und etwa durch biblische oder bukolische Topik in ‚europäische‘ narrative Zusammenhänge integriert, was oft zu Idealisierung und Euphemismen führt.
- Legenden und imaginäre Orte als narrative Gegenpole: Von Interesse sind etwa die Funktion der Legenden innerhalb der Narration, ihre Neuerzählung und Persistenz durch Texttraditionen und Jahrhunderte hindurch, sowie die Verschiebungen und Rekonfigurationen zwischen der amerikanischen und europäischen Textproduktion.
So soll anhand verschiedener Fallstudien untersucht werden, wie und mit welchem Ziel Texte aus Europa und Lateinamerika jeweils ‚durchlässig‘ werden für die Integration lokaler Erzählungen und Erzählformen und ‚globalisierter‘ narrativer Modelle, und welche spezifischen Ausprägungen und Strategien sie dabei jeweils bilden.