1. Beschreibung und eingeladene Gäste
Globale Wirtschaftskreisläufe, eine immer raschere Zirkulation symbolischen Kapitals, die Intensivierung von Migrationsprozessen und von menschlicher Mobilität infolge gewaltsamer Konflikte oder wirtschaftlicher Not sowie die Neukonfigurationen einer traditionell in Nord und Süd, Zentrum und Peripherie geteilten Welt haben in den Geistes- und Humanwissenschaften zu neuen Denkansätzen und Handlungen geführt. Hinterfragt und neu gedeutet werden vor allem Diskurse, die die Globalisierung affirmieren oder sogar glorifizieren. Auch die Literatur- und Kulturwissenschaften haben (neben eingeführten Feldern wie den "Transatlantischen Studien") Konzepte wie "Transpazifische Studien", "Transarealität" oder "Globaler Süden" aufgegriffen, um die Beziehungen zwischen unterschiedlichen kulturellen Räumen und ihren Interaktionen, Transkulturationsformen und kulturellen Aneignungen sichtbar zu machen und zu reflektieren. Auch in Hinblick auf die globalen Verflechtungen zwischen Okzident und Orient bietet die kultur- und literaturwissenschaftliche Reflexion ein wichtiges Erkenntnispotenzial, besonders im Falle der hispanischen Welt, wo sich zunehmend Diskurshorizonte jenseits der bekannten Nord-Süd- Beziehungen abzeichnen.
Ziel der Sektion ist es angesichts dieses komplexen Beziehungsgeflechts theoretische und kritische Positionen eines neuen Studienfeldes zu eruieren, das sich in jüngerer Zeit unter dem Begriff "orientalismo latinoamericano" (s. Kushigian 1991; Tinajero 2004; Gasquet 2008; Camayd-Freixas 2013; López-Calvo 2007, 2009, 2012; Bergel 2006, 2015; Klengel/Ortiz Wallner 2016) abzeichnet. Diese Orientalismen beziehen sich nur teilweise auf die klassische Studie Orientalism (1978) von E. Said, die das Feld der postkolonialen Studien stark geprägt hatte; vielmehr gehen die neuen Orientalismustheorien eher auf Distanz, um altbekannte Dichotomien zu überwinden. Sie betonen einerseits die Notwendigkeit, kulturelle Translationsprozesse zwischen Orient und Okzident zu historisieren, andererseits machen sie genau diese Vorstellungswelten, Produktionen und Praktiken sichtbar, die aus diesen Verflechtungen und Konfigurationen hervorgegangen sind. Sie beleuchten insbesondere Dynamiken, mit denen sich die sogenannten kulturellen "Anderen", jenseits von Europa, Kontaktzonen geschaffen haben, die als eine Folge von Relativierungen des hegemonialen Ortes westlicher Zentren und Metropolen betrachtet werden können. Der Orientalismus bzw. diese Orientalismen werden somit als Entwürfe und Konzepte betrachtet, die nicht statisch, sondern bestimmten Schlüsselmomenten der Globalgeschichte entsprechend in ständiger Transformation begriffen sind.
Die Sektion beabsichtigt u.a. konkrete Aspekte der Süd-Süd-Beziehungen zu diskutieren, z.B. Reisebewegungen zwischen den hispanischen und orientalischen Welten, oder Orte der hispanischen Kulturen in Asien, zum Beispiel in Indien, wo jüngst eine Übersetzung des Quijote ins Hindi vorgelegt wurde, oder wo der Chilene Pablo Neruda als "nationaler Autor" der indischen Nation gilt. Ebenso geht es um die Rolle von Intellektuellen als Vermittler, kulturelle Übersetzer und Produzenten von Wissen in Bewegung (z.B. durch Zeitungen und Zeitschriften) und damit von Bildern und Ideen zwischen Orient und Okzident.