1. Beschreibung und eingeladene Gäste
Der Begriff diversidad funcional wird 2005 geprägt und ersetzt Begriffe wie discapacidad oder minusvalía, die als abwertend gelten. Unsere Sektion fragt danach, inwiefern sich auch die Repräsentation der Personen mit Behinderung in den letzten Jahrzehnten geändert hat, und untersucht dazu fiktionale und halbfiktionale spanischsprachige Werke der letzten zwanzig Jahre (Roman, Film, szenische und visuelle Künste). Einbezogen werden sowohl Fallstudien als auch allgemeine Theorien zur Repräsentation von Behinderung. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Frage, inwieweit Stereotypen fortgeschrieben oder im Gegenteil hinterfragt werden und dies sowohl auf der Ebene der Beschreibung betroffener Personen (zwischen Held und Opfer) als auch in der Plotstruktur (zwischen Rehabilitation und Scheitern) sowie in der Rezeption, d.h. den im Leser/Zuschauer hervorgerufenen Gefühlen (zwischen Mitleid und Furcht). Desgleichen kann auch ein unterschwelliger ableism untersucht werden, der Behinderung als Abweichung von einer sozialen Norm konzipiert, die sich an nicht-behinderten Menschen orientiert.
Die so genannten Disability Studies gehen von der Idee aus, dass Behinderung nicht in erster Linie ein medizinisches Phänomen ist, sondern vielmehr ein soziales Konstrukt, das körperliche, kognitive, sprachliche und emotionale Eigenschaften als ‚anormal‘ stigmatisiert. In dieser Sichtweise ist das, was man Behinderung nennt, ein Produkt komplexer sozialer Prozesse. Der Ansatz der Disability Studies basiert dabei auf Theorien über andere Formen der sozialen Marginalisierung, allerdings mit dem Unterschied, dass Behinderung früher oder später jeden Menschen betrifft (was Überschneidungspunkte mit den Ageing Studies mit sich bringt): „One could not become ‚female‘ if marked ‚male‘ (without radical surgery), one could not become ‚black‘ in a biological sense within a strictly Caucasian familial line, sexuality proved more ambiguous and slippery. But what made disability distinct was its unambiguous ability to impact every other identity category at any time” (David T. Mitchell/Sharon L. Snyder, Narrative Prosthesis. Disability and the Dependencies of Discourse, Ann Arbor: The University of Michigan Press 2000, S. x).
Die wenigen Studien über die Darstellung von Behinderung in spanischsprachigen Texten kommen fast ausschließlich aus den angelsächsischen Ländern, vor allem aus den USA. Konkrete Fallstudien fehlen fast vollständig, ebenso wie systematische Theorien. Da das Thema noch wenig erforscht ist, ist der Fokus dieser Sektion sehr weit geöffnet und bezieht Repräsentationen von Behinderung in fiktionaler Literatur, docuficción, Theater, Kino oder plastischer Kunst seit den 1990er Jahren bis zur Gegenwart ein. Folgende Themenschwerpunkte dienen der Orientierung:
- Repräsentationen von diversidad funcional mit Stereotypen oder jenseits von Stereotypen;
- Hybridisierungsprozesse in Textstrukturen als Ausdruck der diversidad funcional;
- diversidad funcional und Geschlecht;
- Behinderung als Hinterfragung von Normalität;
- Ausdrucksformen von Menschen, die von Behinderung betroffen sind;
- Theorien der Disability Studies mit Bezug auf den spanischsprachigen Raum (und Gemeinsamkeiten mit den Ageing Studies);
- diversidad funcional als Teil der Diversity Studies.
Kontakt zur Sektionsleitung
susanne.hartwig@uni-passau.de
checajulio@gmail.com